Sie nimmt es mit Kulturdenkmal auf
KA-Serie "Neue Ideen in alten Häusern": Esther Kroß, Grenzgängerin zwischen Ost und West, Stadt und Land, Alt und Neu - baut in Glashütten eine Scheune zur Ferienwohnung um.
Von Inge Schneider
GLASHÜTTEN - Esther Kroß ist Grenzgängerin - zwischen Ost und West, Stadt und Land, Alt und Neu, manchmal auch zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die gelernte Bankkauffrau wechselte 1992 während ihrer Berufsausbildung von ihrer Heimat Thüringen an den Finanzplatz Frankfurt, wohnte dort zuletzt im malerischen Nordend, lernte ihren späteren Ehemann Lars Corsmeyer kennen und beschloss, mit ihm aufs Land zu ziehen.
"Von Frankfurt aus tendiert man eher in Richtung Taunus oder Rhein, so meine damalige Erfahrung", sagt Esther Kroß. "Lars und mich zog es, nachdem wir uns mithilfe von Freunden einen ersten Überblick über das Immobilienangebot verschafft hatten, ganz eindeutig in die Wetterau." Die abwechslungsreiche Landschaft und die ausgedehnten Wälder im Übergang zum Vogelsberg erinnerten die junge Frau an ihre Thüringer Heimat.
Im Ortenberger Stadtteil Lißberg fand das Ehepaar zunächst ein gemeinsames Domizil. "Das Haus war denkmalgeschützt und bedeutete jede Menge Arbeit für uns - lag aber traumhaft zu Füßen der Lißberger Burg und mit Blick auf den Nidderstausee." Rasch knüpfte man Kontakte in Richtung Politik, Kirche und Vereine. Esther Kroß wurde für eine Wahlperiode im Ortsbeirat aktiv, trat dem Förderverein des Lißberger Musikinstrumentenmuseums bei, dem sie bis heute angehört. Gemeinsam mit Eleonore und Eberhard Betz sowie vielen weiteren Mitstreitern war man Ideenbegründer und Wegbereiter der Bürgerstiftung "Alte Schule" in Lißberg. Diese wurde Leader-Föderprojekt und ist in ihrer neuen Zweckbestimmung als Pilgerrast an der Bonifatiusroute und als Mehrgenerationen-Tagungs- und Begegnungshaus zu erleben.
Als Abschlussarbeit ihrer Ausbildung zur Eventmanagerin (ebam, Akademie für Wirtschaft und Marketing, Berlin/München) organisierte und veranstaltete sie in ihrer Funktion als eine der beiden damaligen Geschäftsführer der Agentur "Corsmeyer Events" von 2009 bis 2015 die Mittelalterfeste auf Burg Lißberg mit und rief diese somit in Nachfolge des Ober-Mockstädters Jörg Jonas ("Met-Jonas") erneut ins Leben. Das Konzept der Feste war eine Zeitreise durch die Besiedlung des Schlossberges und der Region - von deren vulkanischer Entstehung über die Besiedlung durch die Kelten bis in die Epoche des Mittelalters. Ziel war es, Touristen in die Region zu ziehen und den Markt auch in der Mittelalterszene zu etablieren. Ein Vorhaben, das erfolgreich umgesetzt werden konnte. Nicht fehlen durften dabei auch die Auftritte der Büdinger Danze-Liut, bei denen die seit Kindesbeinen an tanzbegeisterte Esther Kroß ebenfalls eine neue Heimat gefunden hat. Heute ist sie zudem als Kassiererin im Föderverein Lebendiges Mittelalter in Büdingen tätig, dem die Danze-Liut angehören. 2012 absolvierte Kroß die Qualifikation zur zertifizierten Natur- und Kulturführerin Wetterau-Vogelsberg-Taunus, die der gleichnamige Verein in Kooperation mit der Volkshochschule und dem Wetteraukreis anbietet. Die Ausbildung zum Pilzcoach der Deutschen Gesellschaft für Mykologie ergänzte das Portfolio, Kroß war Mitveranstalterin der ersten oberhessischen Pilzausstellung auf Burg Lißberg.
Doch das Leben hatte seine eigenen Pläne. Nach der Scheidung von Lars Corsmeyer stand Esther Kroß 2016 zum wiederholten Mal in ihrem Leben vor einem kompletten Neubeginn. In dieser Situation fand der fachwerklich versierte und engagierte Immobilienmakler Stephan Jäger zwei passende Angebote für sie: ein Stadthaus in der Büdinger Altstadt und den Glashüttener Hof im Großen Wiesenweg. Das denkmalgeschützte Fachwerkhaus mit Scheune aus dem 17. Jahrhundert gehörte lange Zeit zu einem landwirtschaftlich betriebenen Winkelhof mit Groß- und Kleinviehhaltung.
Die letzten Eigentümer aus Bad Vilbel hatten die Gebäude als Wochenenddomizil genutzt, zogen dann endgültig bis ins hohe Alter nach Glashütten. "Kurz hat mich der Gedanke gestreift: Nun nimmst du es tatsächlich zum zweiten Mal in deinem Leben mit einem Kulturdenkmal auf", berichtet Esther Kroß von ihren ersten Überlegungen. "Andererseits hat mich das Gebäude mit dem Aussehen eines süßen Hexenhäuschens, mit ausbaufähiger Scheune und dem angrenzenden Garten sofort in seinen Bann gezogen."
Den Entschluss, nach Glashütten zu ziehen, hat sie nie bereut - ganz im Gegenteil: Inzwischen entsteht in der Scheune eine Ferienwohnung, die ab Mitte 2020 für zwei Erwachsene mit bis zu einem Kleinkind die Möglichkeit zur Erholung mit Selbstverpflegung bieten wird. "Ich dachte, ich habe so viel Platz - ich lade mir einfach Gäste ein! Natürlich ist es etwas vollkommen anderes, die Sanierung und den Umbau allein durchzuziehen, diesmal ohne weitere Manpower oder finanzielle Beteiligung", sagt Esther Kroß nachdenklich. Andererseits erhält die Powerfrau bis heute von allen Seiten Unterstützung, vor allem vom leitenden Schottener Architekten Hans Pröscher, den Mitarbeitern der Unteren Denkmalbehörde, lokalen Handwerkern und Freunden sowie ganz ausdrücklich auch von den Frauen, denen sie in Ämtern und Behörden begegnet. "Gerade sie haben mich ermutigt, das Großvorhaben zu stemmen und meine Ideen zu verwirklichen", freut sich Esther Kroß, die nicht zuletzt den positiven Förderbescheid hervorhebt, den sie im September vom Wetteraukreis erhielt.
Kreisbeigeordneter Matthias Walther überbrachte ihr damals in Begleitung von Hirzenhains Bürgermeister Timo Tichau, Bernd-Uwe Domes von der Wirtschaftsförderung Wetterau, Christina Braum von der Fachstelle Strukturförderung des Wetteraukreises und Glauburgs Bürgermeister Carsten Krätschmer als Leader-Beiratsvorsitzender die frohe Kunde, dass ihr Umbauvorhaben mit 8000 Euro aus Mitteln des Leader-Programms unterstützt wird.
Esther Kroß möchte mit ihrer Initiative anderen Hausbesitzern in historischen Ortskernen Mut machen, den bürokratischen Aufwand nicht zu scheuen und sich um ähnliche Fördermöglichkeiten zu bemühen. Erste Anlaufstelle der Projektentwicklung ist für sie bis heute die Wirtschaftsförderung Wetterau mit dem Team um Bernd-Uwe Domes und Klaus Karger. In ihrer Scheune wird derzeit eifrig gearbeitet, um die Ferienwohnung mit offenem Wohnkonzept bis Mitte 2020 fertigzustellen. Im gesamten Haus kommen historische Elemente und Kleinodien im modernen Ambiente wieder zur Geltung. Balkon-, Garten- und Grillnutzung sowie ein eigener Zugang zur Wohnung, Abstellmöglichkeiten für Fahr- und Motorräder und ein Freisitz vor der Scheune gehören mit zu dem geplanten Ambiente, ebenso eine kleine Werkstatt zum Reparieren von Fahrrädern. "Auch ein Wohnmobil könnte hier zusätzlich Platz finden. Meine Zielgruppe sind Wanderer und Naturliebhaber, Radfahrer und Pilger auf der Bonifatiusroute, die direkt durch Glashütten führt", erläutert Esther Kroß, die sich auch eine Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Landwirten in puncto Reiterferien vorstellen kann.
Als bestens vernetzte Natur- und Kulturführerin, Geschäftsführerin der Event-Agentur "KroßARTig-Events by Esther" sowie Volkshochschul-Dozentin für Marketing ist ihr das Potenzial der Region sehr bewusst: "Hirzenhain bietet Möglichkeiten zum Einkauf und zum guten Essen, Gedern wartet mit dem Gederner See und dem sehenswerten Schlossareal auf, Glauberg mit dem Keltenmuseum, Ortenberg mit seiner wundervollen Altstadt und vielen historischen Schätzen, Stockheim mit der Kulturhalle und dem Modellbahnhof, Schotten mit dem Vulkaneum und dem Vogelpark..." So schnell kommt Esther Kroß mit ihrer Aufzählung an kein Ende, auch wenn sie nur die nächstgelegenen Sehenswürdigkeiten und Freizeitmöglichkeiten benennt.
Zum Service für ihre Gäste wird auch ein Abholservice von der Bahn gehören, bei der Ankunft finden die Besucher auf Wunsch einen gefüllten Kühlschrank vor, Kontakte zu örtlichen Milchbauern und zum Imkereibetrieb stellt Kroß gerne her. Sie ist nach ihrem Einzug Ende 2016 passives Mitglied bei der Feuerwehr geworden und hört interessiert zu, wenn die Ortsansässigen von früher und von den Vorbesitzern ihres Hauses erzählen. "Es ist ein Geben und Nehmen", sagt sie, die dabei ist, in Glashütten eine zusätzliche Übernachtungsmöglichkeit zu eröffnen, umgekehrt aber auch schon viel Spannendes und Gutes von ihrem neuen Heimatdorf erfahren hat.